Die Allesesser von morgen

Wie das Essverhalten der Zukunft aussehen wird und welche Auswirkungen es, teilweise schon jetzt, auf die Gastronomie hat.

Photo by Priscilla Du Preez on unsplash

Bereits im kommenden Jahr werden wohl acht Milliarden Menschen auf der Erde leben. 2050 dürften es dann gemäß UN-Prognosen schon fast neun Milliarden sein. Acht bis neuen Milliarden Menschen, die alle satt werden wollen. Jeder von ihnen mit einer, wenn auch unterschiedlichen, persönlichen CO2-Bilanz. Laut einer Statistik des Umweltbundesamtes beträgt die durchschnittliche, auf eine „omnivore“ Ernährungsweise zurückzuführenden CO2-Emissionen des deutschen Durchschnittsbürgers satte 1,74 Tonnen pro Jahr – im Vergleich zum jährlichen Gesamtverbrauch von 7,9 Tonnen CO2 pro Einwohner. „Omnivor“ ist hierbei gleichbedeutend mit „Allesesser“, also sowohl pflanzliche wie tierische Nahrungsquellen.

Nachhaltige und neue Nahrungsmittel

Die gesamte Wertschöpfungskette von Lebensmitteln nachhaltiger zu gestalten, ist also dringend nötig. Nachhaltiger und gleichzeitig effizienter. Denn um neun Milliarden Menschen ausreichend zu ernähren, muss sich die weltweite Nahrungsmittelproduktion im Vergleich zu heute fast verdoppeln. Angesichts all dieser Zahlen wird deutlich, wie dringend eine Umstellung unseres Essverhaltens ist. Genauso wie die Erforschung und Produktion alternativer Nahrungsmittel. Food-Tech-Unternehmen arbeiten derzeit auf Hochtouren, um die Klimakrise sowie die Nahrungsmittelversorgung der Weltbevölkerung zu lösen.

Änderungen im Essverhalten

So ist nur nachvollziehbar, dass der „klassische“ Omnivore mit stattlichem Fleischkonsum in der Diskussion um die „richtige“ Ernährung immer mehr ins Hintertreffen gerät. Sowohl im Hinblick auf die persönliche Gesundheit, als auch die des Planeten. Fast überall auf der Welt suchen Menschen nach ergänzenden Möglichkeiten für eine ausgewogene, nachhaltige Ernährungsweise, die sich nicht nur durch das Weglassen problematischer Lebensmittel auszeichnet. So werden sich moderne „real Omnivores“, also echte Allesesser, zukünftig Seite an Seite mit Veganern, Vege- und Flexitarierern positionieren, wie Hanni Rützler in ihrem Foodreport 2022 postuliert. Die Ernährungsexpertin prophezeit, dass die zukünftige Esskultur auf zahlreiche unterschiedliche Nahrungsquellen zurückgreifen wird:

Ganzes, hochwertiges Tier & In-Vitro-Fleisch

Wenn die neuen Allesesser Fleisch essen, dann weder im Umfang der klassischen Omnivore noch so selektiv wie diese. Nach dem Nose-to-Tail-Prinzip wird für diese das gesamte Tier verwertet und kommt dementsprechend in all seinen Formen – und in hoher Qualität – auf die Teller. Insbesondere nährstoffreichen Innereien wird laut Rützler wieder eine größere Bedeutung zukommen. Auch die künstliche Erzeugung von Fleisch gewinnt aus ethischen und ökologischen Gründen an Bedeutung. So forschen weltweit über 80 Start-ups an der Herstellung von In-Vitro-Fleisch. Das künstlich hergestellte Laborfleisch, auch kultiviertes Fleisch (cultured meat) genannt, kommt konventionellem Hackfleisch in Geschmack und Konsistenz relativ nahe. Insofern gelten Burger als realistische Gerichte für Akzeptanz-Tests und eine breite Markteinführung. Noch ist künstliches Fleisch allerdings sehr teuer und in der EU auch noch gar nicht zugelassen. In Israel bieten jedoch schon einige Restaurants Laborfleisch an und auch in Singapur werden in ausgewählten Restaurants bereits synthetische Chicken Nuggets serviert.

Ungewöhnlicher Meeresreichtum auf dem Teller

Auch an künstlichem Fisch wird geforscht. Angesichts der Überfischung der Meere eine naheliegende Idee. Wenn auch nicht von allzu großer Dringlichkeit, beherbergen die Weltmeere doch eine Vielzahl weiterer, möglicher Nahrungsmittel für den Menschen. So richtet sich das Augenmerk von Ernährungswissenschaftlern derzeit verstärkt auf Quallen. Die in unendlicher Menge vorhandenen Nesseltiere gehören in vielen Teilen Asiens seit mehr als tausend Jahren auf den Speiseplan. Die geschmacklich an Austern erinnernden Tiere gelten dort sogar als Delikatesse. Und als beliebte Diät-Mahlzeit, da sie weder Cholesterin noch Fett enthalten. Darüber hinaus sind Quallen reich an Proteinen, Mineralstoffen und essentiellen Aminosäuren. In Streifen geschnitten zum Salat, im Sushi oder als paniertes Schnitzel erfreuen sie sich in der asiatischen Gastronomie großer Beliebtheit. Bevor die Tiere auf dem Teller landen, muss jedoch ihr Gift via Kälteschock unschädlich gemacht werden. Forscher arbeiten daran, die heimischen Nesseltiere auch in hiesigen Gefilden in die Restaurants zu bringen. Alle Quallen, die derzeit in Europa serviert werden, werden noch aus Asien importiert.

Auch Algen bereichern schon seit geraumer Zeit die Speisepläne nicht nur asiatischer Genießer. Diverse Unternehmen fischen wild wachsende Grün- und Braunalgen ab, reinigen, verarbeiten und vertreiben sie. Die pflanzenartigen Lebewesen landen dann in Restaurants oder Feinkostläden. Sie sind nicht nur ungiftig, sondern mit einem breitem Spektrum nützlicher Inhaltsstoffe außerordentlich gesund. Besonderes Augenmerk erfährt derzeit die Erforschung einer Algenart, die umgangssprachlich auch „grüner Kaviar“ oder Meerestraube genannt wird. Deren kleine, runde, leicht salzig schmeckende Kugeln hängen nämlich an einer Rispe und zerplatzen im Mund wie Kaviar. Genossen wird grüner Kaviar idealerweiser frisch, zum Beispiel in Salaten oder als Beilage zum Sushi. Auch die rund 1.700 Arten von Seegurken rücken ins Blickfeld der Forschung. In Südostasien erfreut sich das „Ginseng der Menge“ in Suppen und Eintöpfen seit langem großer Beliebtheit und auch in Teilen Spaniens werden Seegurken als Delikatesse von Spitzenköchen auf vielfältige Weise kreativ zubereitet.

Unsichtbare Insekten als Proteinquelle

Auch Insekten kommen laut Ernährungsexperten zukünftig eine wichtige Rolle bei der Ernährung der Weltbevölkerung zu. Denn nicht nur deren Ökobilanz, sondern auch deren Nährwerte beeindrucken. Als Proteinlieferanten übertreffen viele der über 2.000 essbaren Insekten Nüsse, Hülsenfrüchte und Getreide. Manche Heuschreckenarten enthalten gar doppelt soviel Eiweiß wie Hühner- oder Rindfleisch. Während in Asien geröstete Grillen, Mehlwürmer & Co schon lange auf den Speiseplan gehören, löst der Gedanke an derartige „Delikatessen“ in unseren Breiten eher Assoziationen ans Dschungelcamp aus. Als unsichtbare, in Mehlform verarbeitete, Bestandteile von Burger-Patties, Teigwaren oder Soßen prognostizieren Experten ihnen aber auch hierzulande eine vielversprechende Zukunft. Bevor unsichtbare Insekten ihren Einzug auf hiesige Restaurantteller feiern, müssen sie durch industrielle Produktion allerdings erst bezahlbar werden.

Plant-based Food als Basis

Zusammen mit pflanzenbasierter Kost aus Gemüse, Hülsenfrüchten, Nüssen, Samen, Pilzen, Obst und Getreide werden diese verschiedenen Nahrungs- und Nährstoffquellen den Wandel der Esskultur zweifelsohne vorantreiben.

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